Das Taubenschwänzchen

                                                                                                               (Juni 2004)


Die ersten warmen Junitage lassen einen an den Jahrhundertsommer 2003 denken. So viele Sommertage, so viele Sonnenstunden, so viele laue Nächte gab es noch nie wie im vergangenen Jahr. Von Klimaerwärmung ist allerorts die Rede und neu einwandernde Tierarten scheinen denen Recht zu geben, die sich bereits sicher sind: Bienenfresser wurden in Deutschland wieder heimisch, die Flamingokolonie in Zwillbrock etabliert sich immer mehr, Mittelmeermöwen wurden in Münsters Rieselfeldern gesichtet, Feuerlibellen tauchten an Teichen auf und Schmetterlinge, die von vielen im letzten Jahr noch für Kolibris gehalten wurden, weil sie einfach unbekannt waren, statteten unseren Gärten ihren unerwarteten Besuch ab: die Taubenschwänzchen! 2003 wurde dieser Besuch als Sensation erachtet: : "Ich habe heute einen Kolibri im Garten beobachtet", so wurde den Fachleuten von den Naturschutzverbänden und anderen mit dem Vogelschutz vertrauten Organisationen am Telefon mitgeteilt und die geduldigen (oder auch schon leicht genervten) Fachleute wussten dann bereits längst, um welches Tier es sich dort handelte, mussten aber oft noch gewaltige Wortschwalle über sich ergehen lassen. Der Vogel, der im Schwirrflug von den Blumen naschte, war natürlich  kein Vogel, sondern ein Schmetterling aus der Familie der Schwärmer (Sphingidae), das Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum). Eigentlich in Südeuropa heimisch, fliegen Taubenschwänzchen von dort aus alljährlich über die Alpen und erscheinen sehr selten in Norddeutschland und gar nicht so selten in Süddeutschland.

 

Petunien, Phlox und Geranien scheinen diesen kleinen Schwärmer sogar magisch anzuziehen. Tatsächlich wie ein Kolibri nehmen die Taubenschwänzchen den Blütennektar im Flug auf und wechseln im Eiltempo von Blüte zu Blüte.  Der graue Körper mit dem schwarzen Schwanz, der auch noch weiße Spitzen aufweist, gleicht zudem noch manch einem Kolibri und durch die schnellen Bewegungen fallen auch die beiden Fühler und der fehlende Schnabel nicht auf. Vielleicht hält ja auch manch einer den langen Saugrüssel des Taubenschwänzchens für einen Schnabel. 40 bis 50 mm beträgt die Flügelspannweite des Taubenschwänzchens, das ein hervorragender Wanderfalter ist, der weit nach Norden, bis in das Polargebiet, und hoch in die Berge bis zur oberen Vegetationsgrenze fliegt. Die tagaktiven Falter fliegen am Sommeranfang in Mitteleuropa ein und traten 2003 sogar sehr zahlreich auf. Man sah sie im letzten Jahr ab Anfang Juni und besonders  von August bis zum Herbst, als die Nachkommen der im Frühjahr zugewanderten Falter ausflogen, um zu den Blüten in den Balkonkästen und in den Zierbeeten zu flattern. Die Raupe des Taubenschwänzchens lebt von Juni bis Oktober auf Labkraut. In milden Klimagebieten überwintert die Puppe. Dort, wo Fröste auftreten, übersteht sie nur zufällig die kalte Jahreszeit, wenn sie z.B. in ein geschütztes Gartenhäuschen gelangt. Man darf gespannt sein, ob sich der massive Einflug des Taubenschwanzes auch in diesem Jahr wiederholt und gespannt darf man auch sein, ob dann wieder die „Kolibri-Anrufe“ kommen oder ob die Leute dazu gelernt haben.