Der Goldscheitelwürger

                                                                                                              (April 2007)


Bis vor Kurzem wusste ich nicht von seiner Existenz. Ich entdeckte ihn, als ich mich an einem regnerischen Tag mal wieder wegträumte in entfernte Regionen. In einem Internet-Reisebericht fand ich ihn. In Gambia war er fotografiert worden und sollte dort selbst in den Hotelgärten vorkommen. Der prächtige Vogel faszinierte mich augenblicklich. Yellow-crowned Gonolek war der Name unter den ich ihn kennen lernte, in anderen Berichten auch Barbary Shrike genannt- also ein Verwandter unserer Würger. Einen deutschen Namen fand ich noch nicht. Wünsche und Träume soll man sich erfüllen, wenn´s irgendwie geht, damit sie nicht übermächtig werden und gar nicht mehr aus Bewusst- und Unterbewusstsein verschwinden.  Also schnell im Internet recherchieren, ein Gonolek-Hotel finden, Reise buchen, Anzahlung leisten, Malaria-Prophylaxe (war überflüssig) betreiben, einen  guten Vogel-Feldführer erwerben (Barlow, Clive and Wacher, Tim: Birds of the Gambia and Senegal, London - auf deutsch gab´s ja leider nichts), englische Vogelnamen auswendig lernen (man ist ja nicht einseitig und für jeden Vogel offen), Koffer packen, losfahren und in Gambia ankommen.

Dort ist leider Nacht, einmal Schlafen liegt noch zwischen mir und Yellow-crowned Gonolek. Im Hotelgarten zeigt sich aber immerhin eine Schleiereule- ich werte es als gutes Omen, bin sicher, meinen Wunsch erfüllt zu kriegen. Am nächsten Morgen erwache ich aus dem Schlaf, der Traum aber geht weiter: Überall Vogelstimmen, -gesänge, -rufe, in einer unbeschreiblichen Fülle! In den nächsten vierzehn Tagen lerne ich sie alle kennen, weiß Rufe dem Graubülbül, der Afrikadrossel, dem Halsbandsittich, dem Schuppendrossling oder dem Schuppenkopfrötel (die deutschen Namen habe ich erst zu Hause im Internet gefunden) zuzuordnen. Neugierig mache ich mich auf den Weg zum Frühstück. In der sich langsam auflösenden Dämmerung sehe ich als erste Vogelart den Pirolsänger (Oriole Warbler), bin begeistert und freue mich darauf, ihn zu fotografieren (nur leider sah ich ihn in 14 Tagen nicht wieder). Schildraben, Rotschnabeltokos, Schuppenkopfrötel sind die nächsten Arten, die ich sehe, beim Frühstück erdreisten sich Kuhreiher auf den Stuhllehnen zu sitzen und nach unbewachtem Frühstück Ausschau zu halten wie auch die allgegenwärtigen Textorweber, die später für einen Krümel Kuchen ihre Scheu verlieren sollten. Auf Yellow-crowned Gonolek musste ich noch warten- aber nicht lange! Zurück vom Frühstück sah ich ihn in unmittelbarer Nähe meines Hotelzimmers. In den nächsten zwei Wochen wurde mir der Vogel immer vertrauter, bei kaum einem Gang durch den mehrere Hektar großen exotischen Hotelgarten fiel er mir nicht auf. Ich sah ihm bei der Schmetterlingsjagd zu, sah ihn Heuschrecken verzehren, an tropfenden Wasserhähnen trinken.

Auf wenige Meter ließen mich die schönen Vögel herankommen. Zwar hielten sie sich am liebsten in schattigen Ecken und unter Bäumen und Sträuchern auf, aber die Fotopirsch stellte sich als nicht zu schwierig und als bewältigbar heraus. Der Goldscheitelwürger (irgendwann findet man im Internet alles!) ist etwas kleiner als unsere Amsel (22 cm); Männchen und Weibchen sind gleich gefärbt und verstehen es ihre auffälligen und lauten Rufe so zu synchronisieren, dass man meint, die Rufe stammen von einem Vogel. Verwechseln kann man Goldscheitelwürger auch in Afrika mit keiner anderen Art und auch in Afrika stechen die bunten Gefiederfarben dem Beobachter ins Auge: die Bauchseite ist feuerrot gefärbt, der Rücken ist kohlschwarz und Scheitel und Bürzel sind gelb- wenn man will auch gold - gefärbt. Der ganze Vogel leuchtet einem nur so entgegen. Ich konnte mich nicht sattsehen und -fotografieren. Zu Hause stellte ich fest, dass ich allein für diese Vogelart mehr als hundert mal auf den Auslöser gedrückt hatte. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur ein guter Deutscher! Allerdings kam mir dieser Gedanke erst später: Auf einer Vogelexkursion ins Umland mit einem einheimischen Guide nannte dieser den Goldscheitelwürger einfach German Bird; denn schwarz-rot-gold  sind nun mal der Deutschen Fahne - Farben.  Bleibt zu hoffen, dass der Goldscheitelwürger bei fortschreitender Klimaerwärmung in Deutschland einwandert (man muss immer das Beste auch im Schlimmen sehen!). Der Weg bis zum Wappenvogel wäre dann nicht mehr weit und besser dafür geeignet als Adler oder Pleitegeier ist der Goldscheitelwürger sicher!