Der Sanderling

   (Oktober 2004)


Kaum ein Urlauber, der im Oktober an die Nordseeküste fährt, wird diesem munteren Vögelchen nicht begegnet sein und  dabei fasziniert und vergnüglich seinem Verhalten zugeschaut haben. Wie ein aufgezogenes Spielzeug läuft der Sanderling unermüdlich vor den rollenden Wellen her. Man könnte meinen, er hätte Räder unter den wieselflinken Füßchen. Dreizehenstrandläufer (Drieteenstrandloper) heißt der lerchengroße Vogel im Niederländischen, denn die vierte Zehe, die Hinterzehe, fehlt ihm. Und wenn man genau die Fußabdrücke im trockenen Sand untersucht, erkennt man dies auch an den Abdrücken. Nun rennt der kleine Strandläufer nicht zum eigenen Vergnügen vor den Wellen her, vielmehr sucht er seine Nahrung dort, wo an den Sandstränden, die dem offenen Meer zugewandt sind, Wellen anschlagen. Im Bereich der brechenden Wellen pickt er die an den Strand gespülten Beutetiere auf, bevor die nächste Welle alle wieder mitnimmt. Die Emsigkeit des Sanderlings erreicht mit der nahenden Hochflut ihren höchsten Grad und nicht einmal beim Aufnehmen des Beutetieres wird die Laufgeschwindigkeit merkbar herabgesetzt. Wenn sich was bewegt, jagt der Sanderling dem optisch fixierten Objekt nach. Sanderlinge sind unglaublich reaktionsschnell und dadurch auch in der Lage, Insekten zu fangen. Zwar kriegen sie die Tiere nicht im Flug, aber sie schnappen sich die hüpfende Insekten mit einer derart schnellen Geschwindigkeit, dass Landung des Insektes und Zustoßen des Sanderlings zeitgleich erfolgen. Durchschnittlich 15mal fängt der Sanderling in einer Minute eine Beute.



Kein Wunder, dass so konzentriert beschäftigte Sanderlinge mich kaum bemerkten, wenn ich ihnen beim Fotografieren auf die Federn rückte, sich mir auf zwei oder drei Meter annäherten, um dann aufgeschreckt im letzten Moment davonzufliegen. Im Vorbeiflug präsentierten sie mir ihren auffallend weißen Flügelstreif (keiner von den anderen kleinen Strandläufern hat einen solchen Flügelstreif) und landeten kaum zwanzig Meter hinter mir schon wieder am Strand, um unbeeindruckt weiter ihrem alten Zeitvertreib nachzugehen. Nicht nur jetzt im Oktober, fast das ganze Jahr hindurch lassen sich Sanderlinge an der Nordseeküste beobachten. Doch nun sind sie besonders häufig. Im Winter findet man die Sanderlinge vor allem an den Stränden der Friesischen Inseln Texel, Vlieland, Terschelling, Ameland (dort entstanden die Fotos) und Schiermonnikoog, die dem offenen Meer zugewandt sind. Mindestens 1000 Sanderlinge halten sich in den Niederlanden im Winter auf, höchstens sind es 3000. Nur etwa 100 Sanderlinge überwintern an der schleswig-holsteinischen Westküste und an der Ostsee findet man nur einzelne Sanderlinge.

Nahrung finden Sanderlinge an den Stränden der Nordsee genug. Bevor sie in ihre nordischen Brutgebiete zurückfliegen, wiegen sie rund hundert Gramm, bei ihrer Ankunft waren es nur annähernd 55 Gramm. Doch sie brauchen diese Fettreserven auch, um ihren langen Flug in den Norden überhaupt durchzuhalten, denn Fett ist eine ausgesprochen geeignete Energiequelle, leichter und ergiebiger als Eiweiß und Kohlehydrate. Bei der Verbrennung des körpereigenen Fettes entsteht zudem nebenbei Wasser, dass für diese Zugvögel, die 3-4 Tage lang in großen Höhen fliegen, lebenswichtig ist.



Doch noch bleiben die flinken und so munter wirkenden Vögel monatelang an den Stränden der Nordsee. Erst im Mai findet dann der Rückflug in die Tundren Grönlands, Sibiriens und Kanadas statt