Der Kuckuck

                                                                                                                    (Juli 2005)


Anfang Juni bekam ich einen Anruf von einer jungen Frau, die mir berichtete, ein Nest mit einem Amselküken in einem offenen LKW entdeckt zu haben. Da der LKW benötigt würde, wollte sie mir die junge Amsel zwecks Aufzucht vorbeibringen. Eigentlich habe ich ja genug zu tun, deshalb war ich nicht besonders begeistert von der Mehrarbeit. Aber nachmittags brachte sie dann das Amseljunge bei mir vorbei. Die Amsel entpuppte sich als Kuckuck. Dieser machte schon einen etwas geschwächten Eindruck, er behielt die Augen kaum auf und bettelte nur noch schwach. Also besorgte ich mir schnellstens geeignetes Futter: Heimchen, Fliegenmaden, Mehlwürmer vom Zoogeschäft, Tau- und Regenwürmer aus dem Kompost. Natürlich machte ich mir Sorgen, denn von seinen Pflegeltern musste der junge Kuckuck ja völlig andere Kost gewohnt sein. Den Nestresten nach zu urteilen, in denen mir der Kuckuck gebracht worden war, schienen mir Rotkehlchen die Pflegeeltern des Kuckucks gewesen zu sein. Andererseits können Kuckucke ja wohl nicht allzu wählerisch und spezialisiert in der Ernährungsweise sein, denn ob nun Amseln, Bachstelzen, Rotkehlchen, Rohrsänger oder Heckenbraunellen die Pflegeeltern sind, die Zusammensetzung des Futters wird jeweils eine ganz andere sein. Jeden einzelnen verfütterten Mehlwurm tunkte ich in frisches Wasser ein, damit der Kuckuck auch bloß genug Feuchtigkeit bekam.  Einquartiert wurde der junge Kuckuck in einem noch intakten Amselnest auf einer unserer Fensterbänke, das den Ansprüchen der angehenden Amseleltern als Heimstatt für ihre Küken offensichtlich nicht genügt hatte; Jedenfalls war das Gelege, das sich im Nest befand, nie bebrütet worden.

 



Der kleine Kuckuck allerdings schien sich im Nest recht geborgen zu fühlen und füllte die Mulde bald ganz aus. Als ich den Kuckuck erhielt, war er von oben bereits recht vollständig befiedert, auf der Bauchseite dagegen war er teilweise noch nackt und kahl. Gefroren haben wird er aber in der Nestmulde nicht. Von Anfang an war der Kleine unersättlich. 20 Fliegenmaden, acht Mehlwürmer (mehr gestand ich ihm auf keinen Fall zu, denn Mehlwürmer in zu großen Mengen können Jungvögel krank machen), 5 Heimchen und fünf große Tauwürmer verschlang er locker hintereinander und vom vielen Schnabelaufreißen, Fressen und Schlucken wurde er hungrig, manchmal aber auch müde und das nutzte ich dann aus, um zu verschwinden. Da sich bei uns viele Dohlen und Elstern herumtreiben, schloss ich den Jungkuckuck immer mitsamt Nest in einer Gartenhütte ein, zumal er ja zuvor in einem geschlossenen LKW herangewachsen war. Spätestens um 6 Uhr morgens bekam er jeweils seine erste Futterration. Wenn ich ihn rief, antwortete er schon bald durch lautes Betteln. Schnell legte er an Gewicht zu, die Federn sah man förmlich wachsen und sein Blick wurde immer wacher und aufmerksamer. Nach einer Woche hatte er sich mindestens verdoppelt, die Gefiederlücken hatten sich geschlossen und er wartete nicht mehr im Nest, sondern auf dem Nestrand auf mich. Bereitwillig nahm er seine Futterrationen auch von Nico, unserem Sohn, in Empfang. Fremdeln war ihm fremd, wenn ´s um Futter ging. Was blieb ihm auch anderes übrig, denn schließlich konnte ich meine Arbeitskraft ja nicht nur ausschließlich ihm zur Verfügung stellen. Bald begann er auch mit den ersten kleinen Flugversuchen, die ihn, wenn er von meinem Arm abhob, zur nächsten schattigen Stelle brachten.

 



Wenn ich ihn in seinen selbstgewählten Verstecken nicht gleich fand, konnte ich ihn aber schnell aufgrund seiner Bettelrufe orten. Es wurde mir klar, dass der Kuckuck wohl bald das Weite suchen würde und mir würde es gehen wie schon Tausenden seiner allerdings meist befiederten Pflegeeltern zuvor, ich würde zurückbleiben. Bevor er dann wegflog, fraß er abends schon deutlich weniger. Offensichtlich war er ausgewachsen und benötigte die Riesenrationen nicht  mehr zum Wachsen. Und zu viel Speck schadet dem Flugvermögen. Abends schwang er sich dann in die Lüfte und flog erst in einen Baum und dann weit hinaus aufs Feld. Am nächsten Morgen und darauffolgenden Tag sah ich „unseren“ Kuckuck noch in Sträuchern und Bäumen sitzen oder wenn er auf der Flucht vor aufgeregt hinter ihm herjagenden Amseln war. Dann war er irgendwann ganz verschwunden. Den Juli wird er sich jetzt alleine durchschlagen müssen, eigentlich in einer Zeit,  in der es von Raupen, seiner Hauptnahrung, wimmelt. Beobachtet habe ich Kuckucke zuvor im Juli kaum, obwohl durch die nun flügge gewordenen Kuckucke der Bestand besonders hoch sein muss.

 

Aber die Vögel verstehen es bestens, sich zu verstecken, ohne überhaupt besonders scheu zu sein. Jungvögel haben es an sich schon sehr schwer. Von jungen Rotkehlchen, Meisen und Finken überleben nur wenige den ersten Winter. Zu viele Gefahren warten auf Vögel und die aller wenigsten haben die Chance, die Erfahrungen machen zu können, die sie benötigen, um gerüstet zu sein für ein langes Vogelleben. Ich hoffe, „unser“ Kuckuck hat das Futtersuchen instinktiv erlernt und wird ebenso instinktiv im Spätsommer in den Süden fliegen. Möge sich erfüllen was im Volkslied „Auf einem Baum ein Kuckuck saß“ beschrieben ist: „Doch als ein Jahr vorüber war, da war der Kuckuck wieder da“ -  für mich wäre es eine riesige Freude!