(März 2006)
Nur wenige Vogelarten haben vom Menschen profitiert und kaum eine wohl mehr als die Kohlmeise. Von Natur aus werden Kohlmeisen eher selten gewesen sein. Sie sind nämlich Höhlenbrüter und Höhlen stehen in der Natur nur begrenzt zur Verfügung; Spechte zimmern sich für ihre Brut Höhlen in Bäume und nach einmaliger Nutzung stehen diese Höhlen Nachmietern zur Verfügung. Darüber hinaus entstehen Höhlen durch Fäulnis an Bäumen, durch Gewitterschäden und Windwürfe. Viele Tierarten, nicht nur Vögel, nutzen diese Höhlen: vom Waldkauz und Raufußkauz über die Hohltaube, den Kleiber, das Rotschwänzchen, den Trauerschnäpper bis hin zu den Hornissen, Fledermäusen und Siebenschläfern. Klar, dass so ein wehrloser Vogel wie die Kohlmeise da schlechte Karten hat, wenn es um die Verteilung dieser begehrten Höhlen geht.
Zum Glück für die Kohlmeise sprang an dieser Stelle der Mensch ein. Seit Jahrzehnten schon hängen in fast jedem Garten Nistkästen. Man kann von einem regelrechten Überangebot sprechen, das die Bedürfnisse von Kohl- und Blaumeisen ebenso abdeckt wie die von Trauerschnäppern, Feldsperlingen oder Gartenrotschwänzchen. Auch das Nahrungsangebot in Gärten ist reichhaltig: Blattläuse, Schwebfliegen und andere kleine Insekten sind in abwechslungsreichen Gärten reichlich vorhanden und im Winter werden Meisenknödel und Futterringe reichlich ausgehängt. So müssen Meisen keine Not leiden und kommen auch fit und wohlgenährt durch strenge Winter.
Wenn also die Kohlmeise vom Menschen profitiert, dann ist es nur Recht, dass auch der Mensch seinen Nutzen hat. Eine Unmenge von lästigen und auch schädlichen Insekten verfüttert ein Meisenpärchen an seine Brut, aber noch mehr zählt die Freude, die einem die zutraulichen Meisen damit machen, dass sie sich aus nächster Nähe beobachten lassen. Sie fliegen nicht einmal weg, wenn ich zum Baum gehe, um einen neuen Meisenknödel aufzuhängen, bleiben im Ast sitzen und sind auch noch ungeduldig, wenn es mir in der Kälte nicht schnell genug gelingt, das Futter aufzuhängen. Und wehe ich vergesse es, ihnen ihre Ration zu bringen. Längst ist es ihnen zur Gewohnheit geworden, ans Fenster meines Arbeitszimmers zu fliegen, mit dem Schnabel an die Scheibe zu klopfen und auf sich aufmerksam zu machen. Recht lernfähig scheinen die kleinen Meisen zu sein, sie wissen, von wem sie das Futter kriegen. Wahrscheinlich halten sie mich für ähnlich lernfähig wie ich sie, habe ich doch schnell begriffen, ihrer Aufforderung nachzukommen und für Futternachschub zu sorgen. Bekannt ist ja auch geworden, dass Kohl- und Blaumeisen vor allem in England gelernt haben, Milchflaschen zu öffnen, die morgens vor die Türen gestellt werden, um an den fetten Rahm zu gelangen. Nüsse mögen die Meisen besonders gern. Wenn ich nur etwas Geduld aufbringe, landen sie durchaus auch auf meiner hingestreckten Hand, um sich von dort die begehrten Erdnüsse zu holen.
Natürlich ist die Fürsorge für Kohlmeisen zur deren Arterhaltung nicht nötig. Vielmehr gehören Kohlmeisen bei uns zu den häufigsten Vogelarten. Allein in Deutschland gibt es bis zu 7,5 Millionen Brutpaare, der Bestand in Europa wird auf 46-91 Millionen Brutpaare geschätzt. Die mittlere Lebenserwartung einer Kohlmeise liegt bei etwa 2,5 Jahren, da aber viele Meisen bereits im ersten Lebensjahr sterben, bedeutet dies auch, dass immer wieder einzelne Individuen zehn Jahre und älter werden. Der älteste wieder gefundene Ringvogel war sogar 15 Jahre und 5 Monate alt.
Noch ein paar Worte zur winterlichen Fütterung: Um das Leben der Vögel bei der Fütterung nicht unnötig aufs Spiel zu setzen, sollte man das Futter in einem Futtersilo anbieten. In den von vielen favorisierten Futterhäusern wird das Futter oft feucht und nass und verdirbt. Die Vögel setzen sich auch mitten ins Futter und kranke Vögel stecken andere durch ihren ins Futter gelangenden Kot an. So ist der Schaden, den man durchs Füttern anrichtet oft größer als der Nutzen, den die Vögel daraus ziehen können.